Verschlechterte Versorgung von Menschen mit Diabetes ab 2023!
Neupatientenregelung gestrichen, Mittel für Prävention und Versorgung gekürzt – Inakzeptabler Rückschritt
Leistungskürzungen, steigende Kassenbeiträge, explodierende Lebenshaltungskosten: Die Diabetes-Selbsthilfeorganisationen blicken alarmiert in den Herbst und noch viel besorgter in das Jahr 2023. Statt weiterer Kürzungsmaßnahmen fordern sie Entlastungen für chronisch kranke Patienten und Verbesserungen in der Versorgung, etwa durch den Einsatz von Patienten-Lotsen.
Patientenwohl im Blick behalten, ambulante Versorgung sichern
Inakzeptable Wartezeiten von bis zu 6 Monaten bei der Terminvergabe für einen Facharzt, erschwerte Aufnahme von Neupatienten: Mit dem GKV- Finanzierungsstabilisierungsgesetz schafft der Bundestag die Neupatientenregelung ab Januar 2023 wieder ab. Die Patientenvertreter der großen Diabetesverbände in Deutschland zeigen sich alarmiert und befürchten eine weitere Verschlechterung der ambulanten Versorgung von chronisch erkrankten Menschen in Deutschland. Und auch Patientinnen und Patienten, die durch Umzug ihren Wohnsitz ändern oder mit der Schließung ihrer hausärztlichen Praxis konfrontiert sind, macht die Situation sehr zu schaffen.
„Insbesondere Diabetiker mit ihrer chronischen Erkrankung müssen häufig wegen ihrer multiplen Krankheitsbilder (Nieren-, Augen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen) von unterschiedlichen Fachärzten regelmäßig behandelt werden und sind auf zeitnahe Anschlusstermine angewiesen,“
macht Norbert Kuster (Landesvorsitzender und Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH-M) in NRW) auf diese große Betroffenengruppe aufmerksam.
Digitalisierung zur Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung nutzen
Dabei gebe es im Zuge der Digitalisierung im Gesundheitssystem längst gute Optionen, um die Situation zu entschärfen.
„Viele Ärzte nutzen noch keine Online-Terminvergabe-Systeme, mit denen Patienten heutzutage einfacher Termine vereinbaren könnten, statt zum Beispiel bei ihrem Facharzt zigmal anrufen zu müssen und doch nicht durchzukommen“,
so Dr. Klaus-Dieter Warz, (Vorstandsvorsitzender Deutsche Diabetes Föderation e.V.).
Viele Ressourcen würden zudem im Praxisalltag mit simplen Themen wie der regelmäßigen Ausstellung von Quartals-Rezepten gebunden, da die elektronischen Rezepte noch nicht zum Einsatz kommen. Die Nutzerfreundlichkeit der digitalen Tools und die Akzeptanz der Anwender müssten viel stärker in den Fokus rücken, damit man hier vorankomme.
Besonders die Digitalisierung der Disease-Management-Programme sei das Gebot der Stunde, da die Ergebnisse der Untersuchungen nicht nur den Betroffenen und dem Arzt oder Ärztin in effizienter Form bereitgestellt werden könnten, sondern die Ergebnisse könnten der Versorgungsforschung dienen. Darüber hinaus ließen sich die Ergebnisse und die Qualität der Therapie bereits heute auf Basis der Protokolle von Insulinpumpen und der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) digital an den Arzt zur Beurteilung übermitteln und besprechen.
Seit April 2022 wurden die Video-Sprechstunden abgesetzt. Doch am 17. November 2022 wurde die „Sonderregelung zur Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit“ nach telefonischer Anamnese bis Ende März 2023 verlängert. „Warum funktioniert etwas bei Atemwegserkrankungen, das an anderer Stelle blockiert wird?“, rügt DDF-Vorstandsmitglied Helene Klein die widersprüchliche Praxis beim Einsatz der Telemedizin. Und weiter: „Video-Sprechstunden müssen wieder auf breiter Ebene möglich sein!“
Vereinbarte Reformen zur Diabetesprävention- und -versorgung jetzt in Angriff nehmen
Noch 2020 verpflichtete sich die Bundesregierung zur Einführung einer Nationalen Diabetesstrategie. Die Zielsetzung: Prävention stärken, Versorgung verbessern, die Diabetes-Pandemie eindämmen und damit die Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden. Doch jetzt wurden die geplanten Haushaltsmittel für Maßnahmen der Diabetes-Prävention und Versorgung stark reduziert (vgl. 27.10.2022 – DDG: Haushaltsentwurf 2023 befeuert Engpässe in der Diabetesversorgung und Kostenexplosion im Gesundheitswesen www.ddg.info/presse).
Die Verärgerung der Diabetes-Community ist groß. Die Patientenverbände vermissen bei den gesundheitspolitischen Entscheidern den Willen, die Diabetesstrategie (vgl. www.diabetesnetz.info) konsequent auf den Weg zu bringen. Diese kurzfristige Sicht werde in wenigen Jahren zur exponentiellen Kostenzunahme infolge des Entstehens von Folgeerkrankungen führen. Präventionsmaßnahmen hingegen zahlten sich immer aus – für die Betroffenen und die Solidargemeinschaft. Deshalb fordert die Diabetiker-Allianz hier eine Korrektur!
Potenzial der Selbsthilfe nutzen, Selbsthilfe steht in den Startlöchern
Obwohl das Gesundheitswesen von beträchtlichem ehrenamtlichem Engagement geprägt ist, wird das Potenzial der Selbsthilfe bei weitem nicht genutzt. Patienten-Lotsen (Begleiter, Guides oder Coaches) wären in der Lage, eine Lücke in der psycho-sozialen Betreuung und im Diabetes-Management zu schließen bzw. das System effizienter zu machen und eine Entlastung zu schaffen“, ergänzt Dr. Klaus-Dieter Warz (Deutsche Diabetes Föderation e.V.). Die Selbsthilfe stehe daher für Gespräche mit den gesundheitspolitischen Entscheidern zur Verfügung!
Niederschwellige Zugänge zum Gesundheitssystem schaffen
Auch mit dem Ausbau der ambulanten Bereiche in den Kliniken und der Implementierung niederschwelliger Zugänge zum Gesundheitssystem ließe sich die Effizienz vorantreiben und die Versorgungssituation deutlich verbessern, etwa mit Gesundheits-Kiosken in sozialen Brennpunkten in den Städten oder den Gemeindeschwestern auf dem Land. „Hier gibt es bereits gute Beispiele aus Dänemark oder Schweden bzw. aus der damaligen DDR mit der Gemeindeschwester Agnes (heute Verah), wo den Patienten erst nach dem Kontakt mit einer medizinischen Fachkraft ein Arzt vermittelt wird“, unterstreicht Dr. Warz diese beiden bewährten Ansätze. Viele Anliegen würden bereits auf dieser Ebene gelöst und die Praxen entlastet.
Dialog mit Wahlkreisabgeordneten führen
Alle Bürgerinnen und Bürger sind aufgefordert, die Forderungen der Patientenverbände/der Diabetiker-Allianz zu unterstützen und Kontakt zu ihren Wahlkreis-Abgeordneten im Bundestag aufzunehmen. Dieter Meier (Vorstandsvorsitzender Diabetikerbund Bayern e.V.) appelliert an alle Betroffenen. „Werden Sie aktiv und sichtbar! Tragen Sie diese Forderungen sowie Ihre persönlichen Erfahrungen zu Ihren Abgeordneten. Jede und Jeder Einzelne zählt.”
Alternativ können die Patientinnen und Patienten auch eine E-Mail an gesundheitsausschuss@bundestag.de senden.