Insulin wird 100 Jahre alt
Ein Besuch im Diabetesmuseum
In diesem Jahr feiern Diabetesbetroffene zum 100. Mal die Entdeckung der Insulintherapie. Diesem Anlass widmen wir eine Reihe mit Geschichten rund um das Insulin. Weil uns der Blick in die Vergangenheit die Gegenwart besser verstehen lässt, starten wir mit einem Besuch im Diabetesmuseum in München. Los geht’s!
Plötzlich hat das eigene Kind Diabetes
Bei der 1992 geborenen Anja wird mit 20 Lebensmonaten Diabetes mellitus diagnostiziert. Ein gravierender Einschnitt im Familienleben der Neumanns, die mit den beiden Töchtern in einem Reihenhaus in München-Pasing leben. Die Mutter arbeitet als Angestellte, Vater Werner ist als Gas- und Wasserinstallateur beschäftigt.
Was ist wichtig für das an Diabetes erkrankte Kind? Werner Neumann befasst sich intensiv mit der Erkrankung, steckt viel Energie in die Auseinandersetzung mit den Nährwertanalysen der Lebensmittel. Die Familie reist 2000 nach Kanada und besichtigt im Rahmen eines Urlaubs das Banting-Museum mit der Flame of Hope. Der Vater taucht immer tiefer in das Thema Diabetes ein, ist fasziniert von den Methoden, der Technik und der Geschichte.
Museumsgründung
Sein Wissen und die Materialsammlung mehren sich seit 2001 stetig. Die Unterlagen und Gerätschaften bekommen 2006 einen ersten eigenen Raum bei den Neumanns – der Grundstock für das Diabetesmuseum ist gelegt. Ein zweites Zimmer kommt 2011 hinzu. Die damit neu geschaffene Struktur ermöglicht von nun an eine Präsentation für Besucher.
Die Geschichte des Diabetes verknüpft Werner Neumann anschaulich mit der Erforschung, der Diagnostik und den Behandlungsmöglichkeiten der Zuckerkrankheit, wie man früher sagte. Das vermittelte Themenspektrum ist breit angelegt und mit vielen interessanten Details und Ausstellungsstücken angereichert. Das beeindruckt die Museumsbesucher in München und im Internet gleichermaßen. Das Publikum erfährt, schon im alten Ägypten und auch bei den alten Römern und Griechen gibt es Hinweise auf Diabetes.
Forschung
Das Diabetesmuseum vermittelt einen guten Überblick, wie Wissenschaftler auf der ganzen Welt an der Zuckerkrankheit forschen: Im 16. Jahrhundert stellt Paracelsus einen Bezug zu allen Stoffwechselvorgängen im Körper her und beschreibt erstmals Diabetes mellitus als hormonelle Erkrankung. Claude Bernard erforscht im 19. Jahrhundert die innere Sekretion und findet den Zucker in der Leber, das Glycogen. Die Anatomie der Bauchspeicheldrüse beschäftigt Paul Langerhans. Die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse werden später nach ihm benannt. Es sind der Kanadier Frederick Grant Banting und der Amerikaner Charles Herbert Best, die in Toronto mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten 1921 das Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Tieren extrahieren. Schon im darauffolgenden Jahr wird es in gereinigter Form an Menschen angewendet und ermöglicht seitdem das Überleben vieler.
Gerätschaften
Die Museumssammlung an Spritzen, Spritzhilfen und Insulinpumpen ist umfassend. Viele Exponate erscheinen aus heutiger Sicht kurios. Liebhaber werden ihre Freude an den historischen Exponaten haben.
Beträchtlich sind die früher benötigten Abgabemengen an Blut zur Messung. Eine hier abgebildete Tüpfelplatte aus Keramik veranschaulicht dies. Die Einführung von Teststreifen für die Blutzuckermessung stellt 1964 einen großen Durchbruch dar. Insgesamt ist das Material zur Blutzuckermessung allerdings so zahlreich vorhanden, dass Werner Neumann beschließt, in die Zeit vor und nach 1964 zu unterscheiden. Anschaulich auch die Entwicklung der zunächst analog selbsttätig messenden, voluminösen Geräte hin zu den heutigen modernen, kompakten Digitalgeräten.
Anerkennung
Von der Weiterentwicklung des Insulins bis hin zu aktuellen Insulinpumpen und modernen CGM-Geräten oder auch die Behandlung des Diabetes in der DDR: Dieses Museum ist eine Bereicherung für seine Besucher. Das muss auch die Landesstelle für nicht-staatliche Museen in Bayern überzeugt haben. Diese hat das Diabetesmuseum vor zwei Jahren als Museum anerkannt.
Werner Neumann im Interview
Möglicherweise hat Familie Neumann mit dem Diabetesmuseum etwas Einzigartiges geschaffen: Die vollumfängliche Sammlung zu einer einzelnen Krankheit. Wir führten ein Gespräch mit dem 61-jährigen Museumbetreiber.
DDF:
Herr Neumann, in der Freizeit ein Museum aufzubauen und zu betreiben, ist kein alltägliches Hobby.
Wo und wie finden Sie Ihre Ausstellungsstücke?
Neumann: Viele Exponate werden mir von Menschen mit Diabetes, den Angehörigen oder den Herstellerfirmen überlassen. Mittlerweile hat auch die Beschaffung über das Internet deutlich zugenommen.
DDF:
Was fehlt noch in Ihrer Sammlung?
Neumann: Ich sammle alles zum Thema Diabetes. Was ich entbehren kann, stelle ich anderen Museen oder Instituten zur Verfügung. Wenn jemand eine Schlauch-Insulinpumpe von Becton Dickinson aus Ende der 1980er Jahre oder eine implantierbare Insulinpumpe von Minimed aus dem Jahr 1999 dem Diabetesmuseum spenden möchte – darüber würde ich mich sehr freuen!
DDF:
Herr Neumann, was wünschen Sie sich zum Schluss?
Neumann: Ich wünsche mir, dass die Flame of Hope erlischt,
weil der Diabetes heilbar ist.
100 Jahre Insulin
Der Kanadier Frederick Grant Banting und der Amerikaner Charles Herbert Best isolierten an der Universität Toronto am 27. Juli 1921 das Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Tieren. Damit wurde schon im Folgejahr eine Insulintherapie beim Menschen möglich. Für seine Entdeckung erhielt Banting 1923 den Nobelpreis für Medizin, Best blieb unberücksichtigt. 100 Jahre nach dieser Entdeckung verdanken noch immer Millionen Diabetikerinnen und Diabetiker den beiden ihr Leben. Zum Gedenken wird an Bantings Geburtstag, dem 14. November, der Weltdiabetestag gefeiert.
Flame of Hope
Neben dem Banting-Museum in London (Ontario) brennt die „Flamme der Hoffnung“. Mit ihr würdigt Kanada Bantings Entdeckung sowie alle von Diabetes betroffene Menschen auf der ganzen Welt. Die Flame of Hope erinnert daran, dass Insulin Diabetes behandelt, aber nicht heilt. Die Flamme wird nur gelöscht, wenn ein Heilmittel für Diabetes entdeckt wird.
Autoren
Idee: Barbara Dvorak
Text und Interview: Elke Spaeth
Fotos: Eberhard Unfried, Werner Neumann